Die totale Sonnenfinsternis in Indien

24. Oktober 1995


Thomas Pfleger berichtet

Wieder einmal lockte Mutter Natur drei Bonner und drei auswaertige SoFi- Spechtler in die Ferne, dem Mondschatten entgegen. Georg Dittie, Uwe Schmidtmann, Rolf Hillebrecht und Daniel Fischer waren schon am 15.10. Richtung Delhi abgereist und am 22.10. folgten Paul Hombach und ich nach. Nach langem Flug kamen wir morgens in Delhi an, von wo aus uns ein Kleinbus in halsbrecherischer mehrstuendiger Fahrt aus dem Moloch heraus auf's ruhigere Land brachte. Die sog. Strasse hatte zeitweise nur eine Spur, um die die zahlreichen Verkehrsteilnehmer im Wortsinn einen heftigen Verdraengungskampf fuehrten. Jeeps und LKWs kickten unseren ansonsten auch nicht gerade zimperlichen Fahrer schon mal aus dem Verkehr. Kein Wunder, dass in Indien jedes neunte Opfer eines Verkehrsunfalls mit dem Leben bezahlt.

 Im kleinen, von touristischen Sehenswuerdigkeiten gaenzlich freien Nem Ka Thana, ca. 160km suedwestlich von Delhi auf halbem Weg nach Jaipur, empfing uns dann heftiger Trubel. Wird hielten nach einem alten Schulgebaeude Ausschau, in dem das Indian Institute of Astrophysics eigene und geladene Beobachter notduerfig, aber brauchbar untergebracht hatte. Dort angelangt, bestaunten Paul und ich erst mal das Equipment der Profis, neben das wir spaeter noch unsere bescheidene Optik stellten durften.

Nach einer wirren Irrfahrt durch den Ort in einer Motorrikscha trafen wir dann endlich die anderen vier Teilnehmer unserer Expedition, die sich bereits am Vortag installiert hatten. Der Tag verging mit dem Austausch von Ansichten und Erlebnissen, Vorbereitungen fuer die Finsternis und einem leckeren indischen Essen, das unsere nach der 36stuendigen Anreise ausgehungerten Baeuche gierig absorbierten. Der Abend ging mit Spazierenschauen unter dem klaren Himmel und endlosen Gespraechen mit meist einheimischen Sternfreunden, Fernsehreportern, Profiastronomen und "ganz normalen Indern" zu Ende. Die Milchstrasse leuchtete in herrlicher Schoenheit und mal wieder fand ich meine Meinung bestaetigt, dass der Skorpion das schoenste Sternbild ist. Man muss ihn nur ganz sehen koennen... Auch der Finsternisjaeger F. Dorst war nach Neem Ka Thana gekommen und hatte sein Equipment auf dem Dach des Unterkunftsgebaeudes aufgestellt, wo er auch die Nacht verbrachte. Er hatte einen herben Verlust zu beklagen: sein Leitz Telyt hatte durch starke thermische Spannungen einen Sprung in der Frontlinse bekommen und er entschloss sich nach der SoFi, das schwere und nur mehr fuer viel Geld instandsetzbare Teil in Rajastan zu lassen. Am Finsternismorgen waren wir schon um 5:30 auf dem Dach, um nach de Vico und Merkur Ausschau zu halten. Im 10*50 zeigte deVico wegen einiger bloeder Strassenlampen in der Nachbarschaft leider nur einen Ansatz von Schweif. Nach den vielen nebligen Morgen in Old Germany leider wider nicht die erhoffte Offenbarung. Dafuer der Merkur in enormer Helligkeit und sehr hoch ueber dem nun rot leuchtenden Osthorizont. Jo mei, des fezzt...


Ein Blick auf das Sofi-Kamp...

Die Sonne war noch nicht lange ueber dem Horizont, als es mit dem ersten Kontakt losging. Wie schon in Mexiko und Chile erlebt, merkte man in der partiellen Phase bis etwa 50% nur wenig an Licht- und Waermeeinbusse. Dann aber wurde es kuehl, ein Anorak war angenehm. Das Licht wird immer fahler. Es ist moeglich, mit der Hand Abbilder der Sonnensichel zu erzeugen, indem man die Finger so legt, dass nur ein kleines Loch ueberbleibt. Diese natuerliche Lochkamera erstaunt vor allem das Kamerateam vom indischen Fernsehen.

Gelegenheit, noch mal nachzuchecken, ob die Kamera mit dem 16mm-Fischauge richtig eingestellt, die Ablage fuer das Objektivfilter der Russentonne bereitgelegt und noch genuegend Bilder auf dem Film sind. Pauls 80mm- Fluorit zeigt das rasiermesserscharfe Mondrandprofil, auf dem man einzelne Berge hervorlugen sieht. Das MUSS wahnsinnige Baily's Beads geben! Wer schon mal eine SoFi erlebt hat, kennt die unbegreifliche Spannung der letzten Minuten, wenn die Spitzen der immer schmaleren Sichel sich deutlich sichtbar aufeinander zubewegen. Von Uwe erfahre ich nachher, dass er fliegende Schatten gesehen hat - von uns anderen hat in der Aufregung und Hektik keiner drauf geachtet. Ich habe mir vorgekommen, nur wenige Bilder zu machen, auch mal hinzuschauen, denn die Totalitaet sollte sowieso nur 50 Sekunden dauern - fast nur eine Traum von einer SoFi, beinahe zu kurz, um es ueberhaupt zu fassen, dass sich nun die schwarze Sonne ueber Rajastan zeigt. Sie kaempfte sekundenlang mit dem Mond, durch dessen tiefe Taeler etwa 10 Diamanten strahlen - WAHNSINN!! So einen 2. Kontakt haben sie alle noch nie erlebt, erzaehlen sie hinterher. Meine Fotos davon hauen mich auch glatt aus den Latschen, als ich sie eine Woche spaeter vom Entwickeln zurueckbekomme. Zu sehen auf der BoHeTa...

Nun wird's ganz dunkel: eine typische Minimumskorona mit Streamern in der Aequatorebene, die sich freiaeugig bis etwa 2 Sonnenradien hinaus erstrecken. Die Korona ist ziemlich lichtschwach, mit Mexiko sowieso nicht zu vergleichen, aber auch deutlich schwaecher als letztes Jahr in Putre. Im Kamera(lupen-)sucher sehe ich keine Protuberanzen. Erst auf dem fertigen Dias sind welche da, eine schoene auf 11 Uhr, aber kaum 2' hoch. Der Horizont zeigt kaum Farben und der Himmel ist sehr hell. Merkur und Venus sehen viele und rufen dies ueber den Platz, aber mir ist die Zeit zu schade, um mich um solches Beiwerk zu kuemmern. Gerade als ich beschliesse, dass es genug Aufnahmen seien, wird der obere Sonnenrand schon heller. Ich habe noch 5 Sekunden, um mir die Korona ohne Optik anzuschauen und diese faszinierende Stimmung aufzunehmen. Dann blitzt die Sonne wieder hinter dem Mond auf. Die Chromosphaere und die innere Korona halten sich noch ein paar Sekunden gegen das gleissende Licht, dann muss auch der Filter wieder vor die Optik. Mal wieder staunen Laien und Fachwelt, wie schnell es wieder hell wird, und subjektiv kommt es einem schon 5 Minuten nach dem dritten Kontakt so vor, als sei die SoFi zu Ende. Aber gemach, noch ist sie nicht vorbei. Alle 15 Minuten ein Bild, wie auch vor der Totalitaet, damit es eine schoene Bilderreihe wird. Dazwischen werden schon mal die Videos von Uwe, Rudi und Georg, die zusammen mit 4 Kameras gefilmt haben, einem ersten Check unterzogen. Alles hat toll geklappt! Was mit meinen Bilder wohl ist? Paul ist voellig am Boden zerstoert, weil er seinen Fild dank Motor viel zu schnell verschossen hat und ausser einem lueckenlos im Sekundentakt dokumentierten 2. Kontakt keine laengere Belichtung als 1/250s gefahren hat. Selber schuld, wenn die Nerven durchgehen. Man darf sich eben selbst nicht unter Erfolgsdruck setzen - und schon gar nicht bei einer SoFi...

Tja, dann heisst es Abschied nehmen von unseren freundlichen Gastgebern, von Prof. J. Singh aus Bangalore und seinem Team und den freundlichen Einheimischen. Sie umringen uns wie Rockstars, fragen uns ueber Deutschland, unsere Reiseroute und unsere Meinung zu Indien. Wir fragen auch und erfahren vieles aus erster Hand ueber Gesellschaft, Familienstruktur, Einkommensverhaeltnisse und Ausbildung. Fuer das Monatsgehalt eines indischen Ingenieurskollegen muss ich hier zuhause nur zwei Tage arbeiten.In Jaipur kostet eine Taxifahrt durch die ganze Stadt umgerechnet zwei Mark - dafuer macht hier ein Taxifahrer noch nicht einmal die Tuer zu...

Nun waere noch viel zu berichten von freundlichen Leuten, dreckigen Staedten, hervorragendem Essen, verwegenen Auto-und Fahrradfahrten (gell, Daniel!?) und vor allem vom Keladeo Bird Sanctuary, einem Ueberwinterungsplatz vieler Zugvogelarten und Tummelplatz unzaehliger Voegel. Wir sahen dort, von einem sachkundigen und aeusserst scharfaeugigen Fuehrer geleitet, neben mehreren Storcharten noch Schlangenhalsvoegel, Reiher, Loeffler, eines von weltweit 60 Exemplaren des Sibirischen Kranich, ferner Kormorane, Enten, Geier, Adler, Eisvoegel, Nachtigallen, Wiedehopfe, Spechte, Eulen und noch mehr. Die Russentonne eignet sich ja nicht nur fuer Astrofotos, so dass dort schoene Bilder und auch Videos entstanden sind, auf die Siehlmann sicher neidisch waere. Georg hat jedenfalls das Zeug zu einem Tierfilmer!

Wohin geht's das naechste Mal? Georg und Daniel sind wild entschlossen, 1997 nach Sibirien zu reisen. Das Motto fuer dieses Himmelfahrtskommando lieferte jedenfalls schon das Etikett der Biermarke "Kingfisher" (Eisvogel): - MOST THRILLING CHILLED -. Georg kann ja in einem Tiefkuehllager im Hamburger Hafen zwischen Schweinehaelften und Butterbergen versuchen, wie lang er und sein Equipment brauchen, um bei -38°C zu Permafrostklumpen zu erstarren...

Ich denke da eher an Karneval 98 in der Karibik (Aruba oder Kueste Venezuelas), das kann ich dann auch meiner Frau und unserem inzwischen sieben Wochen alten Sohn zumuten. Und 99 koennen wir alle dann endlich mal mit "richtigen Fernrohren" losFAHREN, statt nur mit einem ueberquellenden Rucksack und astronomischem Notgepaeck durch ferne Laender zu streifen.
 
 

Abs.:  Thomas Pfleger      Broeltalstrasse 5b     53773 Hennef

  Die Technik entwickelt sich vom Primitiven ueber das
  Komplizierte zum Einfachen      A. de Saint-Exupery

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